Was wäre, wenn der Staat im Digitalen einheitlich auftreten würde?

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Robin Pfaff

Projektleiter in der Staatskanzlei Schleswig-Holstein und Mitinitiator des KERN UX-Standards

Auf den Punkt

KERN

      • UX (Nutzungserfahrung) ist eine demokratische Schlüsselaufgabe.
      • KERN entwickelt mit Hamburg und Schleswig-Holstein ein Baukasten-Design-System für Verwaltungen.
      • Das Ziel: Einen UX-Standard zu etablieren, der von allen Behörden und IT-Dienstleister:innen genutzt werden kann.

Als Quereinsteiger bin ich vor vier Jahren in die Staatskanzlei in Schleswig-Holstein gekommen. Schnell ist mir die Uneinheitlichkeit der deutschen Verwaltung im Digitalen aufgefallen. Dabei sieht es in vielen anderen Ländern schon anders aus: Großbritannien mit GOV.UK ist zum Beispiel ein großes Vorbild. Ich habe in Deutschland etwas Ähnliches gesucht und nichts gefunden – nur Axel Wolters, Mitarbeiter in der Senatskanzlei Hamburg, Designer und Software-Architekt, der meinen Schmerz teilte.

Wenn man sich den Staat heute aus Sicht der Bürger:innen und Unternehmen anschaut, herrscht ziemlich Kraut und Rüben. Der Staat ist schwer zugänglich – und schlicht als Staat nicht erkennbar. Fake-Angebote sind kaum von echten staatlichen Angeboten zu unterscheiden. Aber sind wir als Staat nicht gerade jetzt besonders in der Pflicht, das Vertrauen der Bürger:innen (zurück) zu gewinnen? Dafür muss der Staat auch im Digitalen wiedererkennbar und funktional sein.

Insgesamt geht es darum, dass der Staat für alle einfacher und intuitiver funktionieren sollte. Bürger:innen, Institutionen und Unternehmen erwarten vom digitalen Staat, dass er so leicht verständlich ist wie die App der Deutschen Bahn oder das Online-Banking. Der Föderalismus ist jedoch auch im Digitalen sichtbar: Wenn ich mich auf staatlichen Websites und Dienstleistungen bewege, wimmelt es von Designbrüchen, die Navigationsprinzipien wechseln ständig, die Übergänge zwischen verschiedenen Plattformen sind nicht fließend. Oft bleibe ich als Nutzer stecken, bin verloren und gebe auf. Und gehe dann doch wieder ins Rathaus.

Deshalb habe ich mich mit Axel zusammengetan, es kamen schnell weitere dazu – die Geburt der KERN Community. Unsere Vision ist ein UX-Standardder von allen Behörden und IT-Dienstleister:innen genutzt werden kann und lockt schon jetzt spannende Menschen aus vielen Organisationen an. Der Ansatz ist sehr offen und iterativ. Von Beginn an sprechen wir öffentlich über unsere Idee. Gemeinsam entwickeln wir ein Design-System, das wie ein Baukasten funktioniert und mit dem es einfacher und günstiger wird, einheitliche digitale Lösungen zu entwickeln.

Mittlerweile stehen die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein hinter dem Vorhaben – sie finanzieren ein zwölfköpfiges interdisziplinäres Entwicklerteam, das die Community mit in den Entwicklungsprozess einbindet. Alles, was wir tun, veröffentlichen wir unter einer Open-Source-Lizenz auf OpenCode. Der Standard ist mittlerweile auch Teil der Dachmarkeninitiative des IT-Planungsrats, dem 13 Länder und der Bund zugestimmt haben.

Das Vorhaben ist komplex, weil potenziell sehr viele Organisationen und Technologien betroffen sind. Die Herausforderung kann nur interdisziplinär gelöst werden. Deshalb arbeiten wir agil. Das heißt: Wir gehen schnell mit unfertigen Ideen und Prototypen raus, holen Feedback der Nutzenden ein und verbessern das Produkt kontinuierlich. Mit so einem ergebnisoffenen, agilen Vorgehen tut sich Verwaltung oft schwer, weil nicht zu Beginn definiert wird, was am Ende herauskommt. Trotzdem haben wir den Vertrauensvorschuss von Hamburg und Schleswig-Holstein bekommen – dafür sind wir sehr dankbar.

Das MVP – das Minimum Viable Product, also das kleinste realisierbare Produkt – ist jetzt da. Es kann noch nicht viel, transportiert aber die Idee und den Ansatz. Man kann es angucken, bewerten und eigene Anforderungen formulieren. Wir wollen es jetzt gemeinsam und direkt mit den Nutzer:innen weiterentwickeln. Das ist unsere Einladung. So bauen wir das System immer weiter aus und machen es für die Nutzenden zu einem wirklich nützlichen Tool.

Auch unser Grundprinzip, eine Koalition der Willigen zu bilden, ist eine Antwort auf diese Komplexität. Wir konzentrieren uns auf die Personen, die von der Idee überzeugt und intrinsisch motiviert sind und legen gemeinsam mit ihnen los. Deswegen laden wir alle Verwaltungen und alle IT-Dienstleister ein, die für den Staat Dinge entwickeln, den Standard zu nutzen und sich in die Weiterentwicklung einzubringen.

Robin Pfaff ist Projektleiter in der Staatskanzlei Schleswig-Holstein und Mitinitiator des KERN UX-Standards.

The Bigger Picture von Georg Diez und Robert Peter

Was bedeutet es, wenn der Staat dysfunktionale Interfaces überwindet?

Staat ist Kommunikation. Und Kommunikation vermittelt eine Botschaft. Wenn also schon die Botschaft verwirrend ist, wie kann dann das Bild des Staates für Klarheit stehen? Wie kann dann das Gesicht der Demokratie als solches erkennbar und verständlich sein? Verwirrung ist dabei letztlich eine Frage der Legitimität des Systems

So drastisch muss man es wohl formulieren, um klarzumachen, dass aus handwerklicher Schludrigkeit oder föderaler Eigenbrötlerei oder parteipolitischen Befindlichkeiten mehr Unheil entstehen kann als nur dysfunktionale Interfaces. Das Interface wiederum ist im Zeitalter der informationellen Demokratie entscheidend, es ist mehr als nur die Verbindung der Bürger:innen zum Staat. Das allein wäre schon ein Grund, sich die Marke Demokratie Deutschland genau anzusehen und dann einen einheitlichen Designprozess zu starten, damit die Bürger:innen in den Staat so viel Vertrauen setzen, wie er es braucht, um zu funktionieren. Denn der Staat ist ein andauernder Austausch – jedenfalls im Idealfall und als Zielbild im digitalen Zeitalter. Die Arbeit an der Funktionalität des Staates im Digitalen ist damit eine Arbeit an der Zukunft der Demokratie. One interface at a time.

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